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Helmut Frankenberg

"Lasst euch von der blöden Mauer nicht abschrecken"

Aus dem Leben der Kölner Juden

Mauerbau in Neuehrenfeld

Die Synagogengemeinde entscheidet sich für einen Schutz aus Stahlbeton. Jüdische Kinder müssen nun hinter einer grauen Mauer spielen. Die Gemeinde wehrt sich gegen den Vorwurf, sich abzuschotten.

Jüdische Kinder müssen hinter einer grauen Mauer spielen. Die Gemeinde wehrt sich gegen den Vorwurf, sich abzuschotten.

Eine dicke Stahlbetonmauer ersetzt den fast drei Meter hohen, schwarzen Vorhang, der um das Außengelände der Synagogen-Gemeinde in Neuehrenfeld gespannt war. Demnächst werden die rund 100 Kölner Kinder, die hier auf die Grundschule und in den Kindergarten gehen, nicht mehr hinter einem düsteren Tuch, sondern hinter einer grauen Mauer spielen. Bis Ende September soll die rund 450 000 Euro teure Wand fertig sein.

Begrünt werden darf sie aus Sicherheitsgründen nicht. Jemand könnte etwas zwischen den Sträuchern ablegen, so die Begründung. Der historische Zaun, der etwas 50 Zentimeter vor der neuen Mauer steht, darf nicht abgerissen werden, so dass sich von außen ein seltsames Bild bietet. Die Synagogen-Gemeinde mauert sich ein.

„Die Mauer ist ein Schutz gegen böse Menschen, vor denen Eltern und die Gemeinde Angst haben“, sagt Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Gemeinde und zuständig für das Thema „Sicherheit“. Es gehe darum, die Kinder vor Anschlägen zu schützen. Die Eltern hätten massivst Druck gemacht. Nach langen Debatten gab das Land nach und bewilligte die Übernahme der Baukosten. „Sonst hätten wir das irgendwie selbst bezahlen müssen.“ Ohne die Mauer hätten viele Eltern ihre Kinder abgemeldet.

Dann wären die Kinder in eine „normale Einrichtung“ gegangen. Da brauchen sie als einzelne unter vielen keinen Schutz. Für Lehrer ist das nicht die Alternative: „Es kann doch nicht sein, dass Sicherheitsgründe entscheiden, ob sich Juden treffen können oder nicht.“ Genau wie es katholische und evangelische Kindergärten und Schulen gebe, müsse es auch ein jüdisches Angebot geben können. Es gehe darum, jüdische Traditionen zu vermitteln und Hebräischunterricht zu erteilen - zusätzliche Angebote zum normalen Unterricht.

Der Mauerbau sei das Ergebnis einer Abwägung: Auf der einen Seite stehen die Wirkungen auf Kinder und Nachbarschaft, auf der anderen Seite das Schutzbedürfnis. Wie real die Bedrohung wirklich ist, sei dabei nicht entscheidend. „Polizei und Ministerium teilen unsere Einschätzung nicht unbedingt“, sagt Lehrer. Dass eine Mauer, genau wie Video-Kameras und sehr präsente Sicherheitsleute rund um das Gebäude auch ungebetene Reaktionen provozieren könnten, glaubt er nicht. Auch die Wirkung auf die Kinder sei begrenzt. Natürlich wolle jedes Kind lieber frei sein und Kontakte haben. Mit solchen Schutzmaßnahmen groß zu werden sei für sie jedoch „völlig normal“. Die Kinder würden nicht fragen, vor was und vor wem sie geschützt werden sollen, sagt Lehrer. Auch seine Kinder wurden mit Sicherheitsschleusen in der Schule oder bewaffnetem Sicherheitspersonal bei Ferienfreizeiten groß. Der schwarze Vorhang war eine neue Dimension. Die Kinder haben gelernt, mit ihm zu leben. Das werde bei der Mauer nicht anders sein.

Lehrer räumt ein, dass das Wohlfahrtszentrum der Gemeinde mit Elternheim, Schule, Kindertagesstätte, Begegnungsräumen und kleiner Synagoge einer „Festung“ gleicht. Mit Abschottung habe das alles aber nichts zu tun. Mancher Nachbar empfindet das anders. So ist die Begegnung mit Schülern des gegenüberliegenden Albertus-Magnus-Gymnasiums bei Unterrichtsreihen über das Judentum längst noch nicht selbstverständlich. Eltern eines Kindes im Kindergarten haben sich geweigert, den Sprachtest zu machen, weil die Prüferin von der katholischen Grundschule kam - „ein Einzelfall“, sagt Lehrer. „Wir sagen allen Nachbarn: Lasst euch von der blöden Mauer nicht abschrecken, kuckt euch das Haus an, wir laden jeden ein.“ Die Synagogen-Gemeinde begründe „kein Ghetto“. Es gehe nur um den Schutz der Kinder.

Von Helmut Frankenberg
Kölner Stadt-Anzeiger, 03.09.07.
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So hässlich ist die Mauer wirklich nicht